Der beste Horrorfilm seit Jahren ist gar keiner. Ein Netflix-Film, der den plötzlichen Verlust eines Neugeborenen behandelt, lässt Pseudo-Heldentaten moderner Feministinnen ziemlich blöd aussehen.
22 Minuten ohne Schnitt
Genau ein Jahr, nachdem Schauspielerin Michelle Williams ihrem abgetriebenen Kind für einen Golden Globe dankte, erscheint mit Pieces of a Woman ein Drama, das die Folgen einer tödlich verlaufenden Heimgeburt thematisiert.
Der ungarische Regisseur Kornél Mundruczó bringt die Geburt in einer 22-minütigen, atemberaubenden Plansequenz auf den Bildschirm – also gänzlich ohne Schnitte wie im Theater.
Die Geburtswehen der jungen Martha werden dabei von Vanessa Kirby so authentisch und eindringlich dargestellt, dass das Zuschauen buchstäblich Schmerzen bereitet.
Schließlich halten Martha und ihr Partner Sean ihre Tochter in den Armen. Kurz. Wenige Augenblicke nach der Entbindung verstirbt das Kind plötzlich.
Filmischer Schlag in die Magengrube
In den nächsten Wochen und Monaten kapselt sich Martha von ihrem Umfeld ab. Ihre Mutter und ihren Partner (Shia LeBeouf beweist endgültig, dass er vom Transformers-Teeny zum Charakterdarsteller gereift ist) stößt sie vor den Kopf, indem sie den Körper ihrer Tochter der Wissenschaft zur Verfügung stellt. Die Szene, in der Martha durch eine Art „Körperwelten“ verstorbener Säuglinge streift, ist Gänsehaut pur.
„Pieces of a woman“, fesselnd von der ersten Sekunde. Thema, eher schwerverdaulich, über den Tod eines Neugeborenen und was das mit den doch-nicht Eltern als Paar und Individuen macht. Großartige, fantastische, beste Schauspielerin @VanessaKirby @netflix
— Katharina Katzer (@ka_katzer) January 9, 2021
Es ist Marthas Mutter – gespielt von der großen Ellen Burstyn – die ein unvergessliches Plädoyer für das Leben hält. Weil sie möchte, dass ihre Tochter im Prozess gegen die der Nachlässigkeit angeklagten Hebamme aussagt, erzählt sie, wie ihre eigene Mutter einst sie beschützt hatte – allein und auf der Flucht nach Essen suchend, „damit sie mir etwas Milch geben kann“.
Das ist wahre Frauen-Power!
Pieces of a Woman ist ein filmisches Kleinod, das ein breites Publikum verdient hat. Von der meisterlichen Umsetzung mal ganz abgesehen, bildet bereits seine Prämisse ein willkommenes Gegenprogramm zum feministischen Alltagsbrei.
Pieces of a Woman zu schauen ist brutal unangenehm. Alles andere wäre auch pietätslos. Ich denke, dass Streaming-Dienste enorm dazu beitragen, dass so sensible Werke erscheinen können ohne Blockbuster-Elemente. Das wird oft vergessen, wenn auf Netflix & Co geschimpft wird.
— MuckMuck (@mxxkmxxk) January 11, 2021
Nicht mehr als einen flüchtigen Blick verschwendet der Film immerhin auf Marthas Berufsleben. Und niemals erörtert das Paar, dass es vielleicht auch ohne Kinder geht. Partner Sean ist außerdem vom Beruf Brückenbauer – mehr Testosteron geht nicht.
Wo feministische Filmemacher dem Publikum die vermeintlichen Segnungen eines kinder- und männerlosen Lebens gern mit dem Holzhammer präsentieren, erinnern Mundruczó und Produzent Martin Scorsese unaufgeregt an die heute oft vernachlässigte einzigartige Kraft der Frau: das Muttersein und die aufopferungsvolle Liebe zum eigenen Kind.
Nein, nicht das Zurschaustellen des eigenen Menstruationsblutes ist „mutig“, sondern die ungewisse Reise einer Schwangerschaft anzutreten. Die letzte Einstellung zeigt, dass Martha es trotz allem noch einmal wagt. So betrachtet ist Pieces of a Woman für den Turbo-Feminismus ganz gefährliches Kino.